Zwei Jahre Gefängnisstrafe drohen bald jedem, der eine „ernstzunehmende Handlung“ ausführt, in der sich die staatsfeindliche Gesinnung einer Gruppe vieler Menschen, der er führend angehört, eindeutig manifestiert.
Das Imstichlassen eines Verletzten wird mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, hat es eine schwere Körperverletzung zufolge, mit zwei Jahren.
Wenn ich etwas Legales tue, in dem sich eine den Staat ablehnende Gesinnung manifestiert, soll das genauso verwerflich sein, wie wenn ich einen Fußgänger anfahre und verletzt und hilflos liegen lasse? Ja, findet die Bundesregierung.
Und beschließt im Ministerrat am 3.5.2017 einen Straftatbestand, der eine Katastrophe ist: § 247a StGB, „Staatsfeindliche Bewegung“.
Damit nimmt der erste Gesinnungsstraftatbestand der jüngsten Geschichte Einzug in die Rechtsordnung unserer Republik. Er ist legistisch – mir bleibt kein anderes Wort – schlecht. Er ist schwammig in seinen Definitionen und operiert mit unzähligen unbestimmten Gesetzesbegriffen. Mit dem § 247a StGB wird das Strafrecht, die schärfste Waffe unserer Gesellschaft, für Anlassgesetzgebung instrumentalisiert – obwohl die geltende Rechtslage völlig ausreicht, um den aktiven Staatsverweigerern das Handwerk zu legen. Das zeigt die jüngste Aktion-Scharf gegen Staatsverweigerer im Raum Graz, bei der 24 Personen festgenommen wurden (http://steiermark.orf.at/news/stories/2838896/)
Eine legistische Katastrophe
Sehen wir uns den Tatbestand näher an, der noch vor Sommer von ÖVP und SPÖ durch den Nationalrat geschleust werden soll.
Der erste Absatz der Lex Reichsbürger lautet:
„§ 247a. (1) Wer eine staatsfeindliche Bewegung gründet oder sich in einer solchen führend betätigt, ist, wenn er oder ein anderer Teilnehmer eine ernstzunehmende Handlung ausgeführt oder zu ihr beigetragen hat, in der sich die staatsfeindliche Ausrichtung eindeutig manifestiert, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“
Allein dieser erste von 5 Absätzen wirft schwerwiegende Fragen auf. Jede einzelne ist für die Strafbarkeit zivilgesellschaftlich engagierter Menschen, die sich gegen ein bestimmtes Gesetz einsetzen und damit ihr demokratisches Recht wahrnehmen, entscheidend. Was ist eine „ernstzunehmende Handlung“? Für wen muss diese Handlung ernstzunehmend sein?
Es ist wenig davon zu halten, ein derartig unbestimmtes Wort im Strafrecht überhaupt zu verwenden. Es geht weiter mit „eindeutig manifestiert“. Wem gegenüber? Wann ist die Manifestation eindeutig, wann gerade noch nicht? Ein Gummiparagraph par excellence.
Die staatsfeindliche Bewegung wiederum ist in Absatz 3 näher definiert. Sie ist eine „Gruppe vieler Menschen“, Im § 246 StGB ist noch die Rede von einer „Verbindung“. Die ist genau definiert. Im Ministerialentwurf des § 247a StGB war es dann die „Bewegung“, auch diese ist definiert. Nun ist es eine „Gruppe“. Es stellt sich die Frage nach der Definition. Welchen Organisationsgrad muss eine Gruppe haben? Warum die neue Terminologie, wenn doch der Titel des Paragraphen das Wort „Bewegung“ verwendet? Warum keine Definition anhand von Kriterien?
„Viele Menschen“ sind laut den Erläuterungen „mindestens ca. 30 Personen“. Auch „mindestens circa“ ist nicht ausreichend präzise für einen so invasiven Tatbestand.
Diese Gruppe muss etwa darauf ausgerichtet sein, die Hoheitsrechte der Republik rundweg abzulehnen.
Was ist „rundweg ablehnen“?
Ihr Zweck muss außerdem sein, fortgesetzt auf eine Weise, in der sich die staatsfeindliche Gesinnung eindeutig manifestiert, gesetzwidrig etwa die Vollziehung zu verhindern.
Das bedeutet, dass die bloße Ausrichtung und der bloße Zweck einer Gruppe zum Tatbestandsmerkmal wird. Vereinfacht gesagt: In der Zukunft vorzuhaben, etwas gesetzwidriges (nicht notwendigerweise strafrechtswidriges) zu tun, ist Teil des Tatbestands.
Wir wissen nicht, was eine Gruppe ist, wir wissen nicht, wie viele Menschen ihr angehören dürfen und wir wissen nicht, wann eine Handlung eine staatsfeindliche Gesinnung ernstzunehmend manifestiert. Ist es der Unternehmerstammtisch, der sich einmal im Monat trifft, gegen die Steuergesetzgebung wettert, über die Gewerbeordnung und die Wirtschaftskammerabgabe schimpft und beschließt, letztere zu boykottieren?
Wer etwas Legales tut, sich dabei aber etwas Illegales denkt, kann nicht strafbar sein
Noch viel schwerer wiegt aber etwas anderes:
Bis jetzt war Konsens, dass strafbar nur Handlungen sein können, die irgendeine Art von Schaden an einem geschützten Rechtsgut anrichten – oder anrichten sollen. Wer etwas Legales tut, sich dabei aber etwas Illegales denkt, kann nach diesem Prinzip nicht strafbar sein.
Mit dem neuen § 247a StGB wird sich das aber ändern.
Demokratie und Menschenrechte in Bedrängnis
Befürworte ich Reichsbürger, Freemen und andere Staatsverweigerer und Anarchisten? Nein. Muss ich sie deshalb mit dem Strafrecht verbieten? Eben nicht. Nicht nur, weil wir grundsätzlich nicht alles verbieten und kriminalisieren können, was uns nicht passt. Sondern auch, weil jeder solche Tatbestand auf eigentlich nicht von ihm erfasste Handlungen ausstrahlt. Je schwammiger er ist, desto weiter reicht die Unsicherheit, die er schafft. Er schränkt die Entfaltung und Freiheit zivilgesellschaftlicher, politischer Initiativen ein. Er schafft einen breiten Grenz- und Graubereich, von dem man sich fernhalten wird, will man nicht das Risiko seiner Strafbarkeit eingehen.
Die Lex Reichsbürger ist unnötig: Das Strafrecht ist wehrhaft genug
Das alles ohne Not: Wer sich gegen die Hoheitsgewalt des Staates stellt, trifft schon jetzt auf einen unfangreichen Tatbestandskatalog im StGB:
Staatsfeindliche Verbindung (§246 StGB), Widerstand gegen die Staatsgewalt (§269 StGB), Amtsanmaßung (§314 StGB), Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheißung mit Strafe bedrohter Handlungen (§ 282 StGB), Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten (§ 282a StGB), gewerbsmäßiger Betrug (§§146/147 StGB iVm §70 StGB) , Nötigung (§ 105 StGB), Erpressung (§ 144 StGB) et cetera.
Dass all das reicht, weiß spätestens seit dem jüngsten großen Erfolg der Exekutive gegen Staatsverweigerer im Raum Graz auch der Justizminister.
Die Lex Reichsbürger ist unnötig und gefährlich für unsere Demokratie und die Rechte, die diese ausmachen.